Ein verfassungsrechtlicher Hieb
Ich bin kein Jurist. Und noch weniger ein
Verfassungsrechtler. Aber ich weiss, dass die Verfassung eine Vereinbarung
zwischen dem Volk und dem Staat ist. Also muss das Volk, der normale Bürger,
diese verstehen. Ebenfalls weiss ich, dass ein gutes Gesetz, das klare Gesetz
ist, dasjenige, das keine Räume für „obwohl, aber“ offen lässt. Und da die
Verfassung das Gesetz aller Gesetze ist, sagt uns der gesunde Menschenverstand,
dass sie das Vorbild der Klarheit sein müsste. Ist sie das?
Lasst uns den letzten Artikel (120) der Verfassung
anschauen. In § 2 wird erwähnt: „Der Respekt gegenüber der Verfassung und den
Gesetzen, die mit diesem übereinstimmen und die Hingabe zum Vaterland und die
Demokratie bilden eine grundlegende Pflicht aller Griechen.“
Was bedeutet „.., die mit diesen übereinstimmen…“? Gibt es
Gesetze, die nicht mit der Verfassung übereinstimmen? Und wer äussert sich zur
Diskrepanz? Wenn der Gesetzgeber dies beurteilt, also das Parlament, stimmt
jedes erlassene Gesetz mit der Verfassung überein, sonst würde es nicht
gutgeheissen. Auch wenn ein Gericht im Nachhinein ein Gesetz als
verfassungswidrig beurteilt, gilt dieses Gesetz bis zu diesem Entscheid. Sonst
könnte jeder darauf bestehen, dass „er dieses Gesetz nicht respektiert, weil es
nicht mit der Verfassung übereinstimmt“! Wird das Anarchie genannt oder nicht?
Was sagen Sie dazu, sehr geehrte Leser, hat Venizelou die Unklarheit und die
Fallen des Artikels vor seinem entsprechenden Vorschlag erkannt? Ist es im
„entgangen“ oder hat er ihn bewusst eingesetzt? Wenn das erstere gilt, kann ein
Mensch mit so wenig Aufmerksamkeit in der Formulierung ein Verfassungsrechtler
sein? Wenn das zweitere gilt, kann ein Mensch mit einer so geringen Moral ein
Politiker sein?
Der Durchschnittsbürger, der Kenntnisse der elementaren
griechischen Sprache besitzt, liest in Art. 74, § 5, der Verfassung:
„Ergänzungen oder Änderungen, die nicht mit der wesentlichen Sache des Gesetzes
im Zusammenhang stehen oder des Gesetzesentwurfs werden nicht zur Debatte
eingeführt.“
Die Verfassung verbietet nicht nur die Abstimmung nicht
zusammenhängender Änderungen, sondern erlaubt nicht einmal die Debatte darüber!
Ebenfalls erlaubt sie die Debatte von Gesetzesentwürfen nicht, die keine zusammenhängende
Änderungen aufweisen. Jedoch ist genau diese Praxis die Regel im griechischen
Parlament, fast ohne Ausnahme! Die fotografische Bestimmung, die den „Taufpaten
glimpflich“ davon kommen lässt, wird im Gesetzesentwurf zum Schutz des Bären
von Pindos integriert, und darüber wird „rein zufällig“ um 2.00 Uhr nach
Mitternacht abgestimmt, wenn im Saal des Parlaments nur noch 3 Personen – und
jeder mit einem geschlossenen Auge - anwesend sind.
Wünschen Sie Beispiele? Die Änderungen zur Schliessung des
Fernsehsenders ERT wurde „pornografisch“ in den Gesetzesentwurf des
Ministeriums für elektronische Überwachung von Gefangenen und Häftlingen
integriert. Die Änderung der staatlichen Finanzierung an Chrysi Avgi wurde in
den Gesetzesentwurf des Umweltministeriums „Regelungen über erneuerbare
Energien und anderen Bestimmungen“ eingeschlossen. Die Bestimmung - eine Bombe,
mit welcher die Regierung den Sendern dauerhafte Lizenzen erteilt, ohne dass
diese einen Cent bezahlen – ist in einem Gesetzesentwurf des
Gesundheitsministeriums integriert worden. Auch weniger „schmerzliche“ Themen,
wie die Zuständigkeit der Gerichte für Adoptionen und illegale Holzfällung,
versucht die Regierung nicht einmal in einem Gesetzesentwurf einzuführen,
jedoch bei der Ratifizierung von internationalen Übereinkommen mit Montenegro
und den Vereinigten Arabischen Emiraten!
Stimmen nun die Änderungen, die in nicht zusammenhängenden
Gesetzen integriert und über die abgestimmt wurde, mit der Verfassung überein?
OFFENSICHTLICH nicht! Die Gesetze die nicht zusammenhängende Änderungen enthalten?
OFFENSICHTLICH nicht! Also, was tun? Sollen sie respektiert werden oder nicht?
Sollen sie befolgt werden oder nicht? Wenn diese nicht respektiert werden, wie
dies von der Verfassung mit Art. 120 mittelbar gefordert wird, wird man
bestraft, ist das nicht so? Wenn man diese respektiert, handelt man
verfassungswidrig. Ein Durcheinander, oder?
Der Leser der Verfassung wird beim Lesen von Art. 44, § 1,
erstaunt sein: „In Ausnahmefällen eines dringenden und unvorhergesehenen
Bedarfs kann der Staatspräsident, nach Vorschlag des Ministerrates, Rechtsakte
erlassen.“*1
Was bedeutet dies in einfachem Griechisch? Dass Gesetze nur
vom Parlament erlassen werden. Darum wurden die Minister gewählt, darum werden
sie bezahlt. Dort werden – vermeintlich – die Debatten geführt, dort werden die
Einwände geäussert, dort wird alles untersucht, so dass das Gesetz gerecht ist
und dass jeder Minister nicht von rechts die Gesetzgebung überholen kann, indem
er wie es ihm beliebt Gesetze erlässt, mit der formellen Ratifizierung des
(ohnehin unverantwortlichen) Staatspräsidenten.
Auf der anderen Seite, wenn ein aussergewöhnlicher
dringender und unvorhergesehener Bedarf eintrifft, müssen selbstverständlich
sofort Beschlüsse gefasst werden. Und in diesem Fall wird eine Präsidialverordnung
erlassen. Wieviele solcher äusserst dringenden und unvorhergesehener
Bedürfnisse gab es, sagen wir einmal, in den 10 Jahren von 2000- 2009? Raten
Sie: 3‘250! Fast einer jeden Tag! Im Gegensatz dazu wurden auf gewöhnlichem Weg
durch das Parlament im gleichen Zeitraum nur(!) 1‘076 Gesetze gutgeheissen. Aber
es sieht so aus, dass auch diese Gesetze weder klar noch detailliert waren,
darum waren als Ergänzung dazu 53‘481 Ministerialbeschlüsse mit
hunderttausenden von Artikeln notwendig!
Nehmen sie uns alle auf den Arm? Schamlos! Sie entwürdigen
die Verfassung! Bis zum geht nicht mehr! Gibt es hierfür Konsequenzen?
Überhaupt keine! Unser politisches System – wissend wer und seine Absichten kennend-
hat sich um seinen unkontrollierten Betrieb gekümmert. Vielleicht sogar mit schlimmeren
Folgen als das (Venizelou, vergessen wird das nicht) Gesetz über die
(Nicht-)Verantwortung der Minister, welches in unsere Demokratie das
Nichtvorhandensein eines verfassungsrechtlichen Gerichts herbeiführte. Das
Parlament selbst ist zuständig zur Beurteilung der Verfassungsmässigkeit seiner
Handlungen! Der Kritisierte ist auch der Kritiker! Soll doch die Verfassung
sagen, was sie will. Das Parlament nimmt es nicht zur Kenntnis, und auch Art.
44 und Art. 74 und noch ungefähr 10 andere Bestimmungen. Warum? Weil es ihnen
so gefällt! Unglaublich, aber typisch griechisch.
Die Gesetzlosigkeit geht – theoretisch – vom Bollwerk der
Legalität aus, man würde erwarten, dass die Professoren der Verfassungslehre
darauf hinweisen, sich auf das konzentrieren, ihre Kräfte für das vereinen:
Revision der Verfassung und Abschirmung des Regimes. Die Ernsthaften haben dies
bereits getan, nun schon einige Jahre. Aber es wird nicht auf sie gehört, weil
auf die anderen gehört wird, die Fernsehstars, den Gesprächspartnern von Tragas
und Aftias. Echte Kinder eines verdorbenen Systems, mit der fördernden Kraft
ihrer eigenen Verflechtung mit den Parteimafias, unzureichend, unterwürfig und
wirbellos berufen sie sich auf Artikel der Verfassung, die Bürger zu Gewalt und
Ungehorsam gegenüber den Gesetzen auffordernd, weil auf diese Weise das Regime
und die Verfassung geschützt wird!
Anerkennen jeden Verärgerten, Gestörten oder Protzer ihrer Parteikunden
als unaufgeforderten Verfassungsrechtler, der – weil er dies kann -zerstören,
Strassen schliessen, mit Sachen auf Gegner werfen, Professoren in ihren Büros
als Geiseln festhalten, Gebäude besetzen und sie in Brand setzen, Schiffe beim
Auslaufen behindern, nicht mit ihm einig Gehende schlagen kann. Dies alles ist
eine „symbolische Gewalt“ gemäss den Katrougkalos (Georgios Katrougkalos,
Verfassungsrechtler) dieser Welt, weil die Verfassung nur von Respekt gegenüber
den Gesetzen spricht, die mit diesem übereinstimmen! Und nicht nur das, sondern
verpflichtet die Griechen, sich mit allen Mitteln (also auch mit Gewalt) gegen
jeden zu wehren, der versucht, diese mit Gewalt aufzuheben.
Wie wird festgestellt, wer die Verfassung mit Gewalt
aufheben will? Wie wird auf ihn hingewiesen? Und, ab welchem Zeitpunkt kann
legal mit Gewalt zu reagieren, begonnen werden? Aufgrund der zwei katalytischen
Artikel oder der 12? Die Gewalt, die das politische System selbst auf uns
ausübt, in krassen Fällen unter Missachtung der Verfassung, wie vorher erwähnt,
ist das nicht eine Form der Katalyse? Die Juristen – Verteidiger der
Gesetzlosigkeit -, wurden sie nicht aufgefordert diese staatliche Gewalt der
wiederholten Brandstiftung Athens zu rechtfertigen?
Wenn solche Arten von Reaktionen gemäss den
Verfassungsrechtlern-Verwirrern von den verfassungsrechtlichen Anforderungen „verdeckt“
werden, warum sollen sie nicht legalisiert werden? Sollen die Parteien, die
ständig die „fairen Volksbemühungen“ überthematisieren, einen Gesetzesentwurf
vorlegen, der z.B. festlegt, dass eine Gruppe von 10 Personen eine
Einbahnstrasse mit einer Breite von 5 Metern blockieren kann. Für doppelspurige
Strassen braucht es 50 Personen, für den Boulevard 100, und um die
Nationalstrasse zu blockieren 500! 10 Studenten bauen legal die Tür des
Grispolakis (Joachim Grispolakis ist
ehemaliger Rektor der Universität von Kreta und Mathematiker), 20 auch die
Fenster, 30 lassen ihn drinnen an Hunger sterben, wie die Spartaner dies mit Pausanias
getan haben*2. Dass die Bauunternehmer Arbeit finden, so
dass die Beschäftigung mit den professionellen Hausbesetzern, die entstehen, angeregt
wird. Dass sie Quittungen ausstellen und den OAEE bezahlen. Da die Kerle von PAME
zwar von der Partei bezahlt werden, jedoch schwarz.
Ansonsten, wenn wir weiterhin die persönliche Ansicht über
Recht oder Unrecht legalisieren, was unterscheidet uns vom Gesetz des
Dschungels? Weil die „verfassungsrechtliche Verbrennung“ und die „verfassungsrechtlichen
Schläge“ als … symbolisch begründet und nicht der „verfassungsrechtliche
Selbstmord“ sind? Es geht nicht an, dass Roupakias die „Logik“ des Katrougkalos
verfolgt und er der Auffassung ist, dass die Linken Rapper im Allgemeinen und
im Speziellen – alle mit aggressiven Nicknamen - eine Gefahr für das Regime
darstellen, somit hat er es mit dem Gebrauch von Gewalt beschützt, wie dies vom
letzten Artikel der Verfassung verlangt wird? Oder dass er nicht die Absicht
hatte zu töten, was nur ein symbolischer Messerstich war, der ihm entschlüpft
ist?
Es ist für jeden mit etwas Verstand offensichtlich, dass wir
eine andere Verfassung brauchen und ein anderes Parlament. Wir brauchen
verschiedene Institutionen, die die Kontrolle und das Gleichgewicht in der
Ausübung der Exekutive gewährleisten, wir brauchen die Checks and Balances der
ernsthaften Regimes. Was Recht oder Unrecht ist, soll nicht von uns bestimmt
werden, aber von den Institutionen, welchen wir vertrauen. Wir brauchen
unterschiedliche Thematologen, die vor allen anderen, die Verfassung schützen. In
einem solchen Regime ist es selbstverständlich, dass Katrougkalis und Venizelou
kein Arbeitsfeld hätten. Das macht nichts, sie werden genügend Zeit haben, die
sozialistische Umgestaltung (der Eine) und die Revolution des Durcheinanders
(der Andere) vorzubereiten. Wir können auch ohne Barbaren leben. Diese Leute
waren nie die Lösung.
Quelle: protagon.gr / Artikel Thanos Tzimeros (Gründer der
politischen Bewegung „DEMOKRATIE, WIEDER!“
*1Anmerkung:
In der Regel setzen die Gesetze generelle und nur die Rahmen der Regelungen
eines Themas fest. Um diese jedoch in die Praxis umsetzen zu können, braucht es
einen speziellen Rechtsakt und wird i.d.R. erlassen, welcher die einzelnen
Themen innerhalb des gesetzlichen Rahmens regelt. Diese einzelnen Rechtsakte
des Staates sind die Verordnungen und die Ministerialbeschlüsse. Art. 44, § 1,
der Verfassung spricht vom Präsidialbeschluss, welcher nicht von den Ministern
– jedoch nach nach deren Vorschlag -, sondern vom Staatspräsidenten erlassen
wird, welches Recht ihm durch diesen Artikel der Verfassung bei dringendem und
unvorhergesehenem Bedarf und nur in Ausnahmefällen erteilt wird.)
*2
Anmerkung: Nach der Vertreibung aus Byzanz machte Pausanias sich zum
Stadtherren von Kolonai. Das Ephorat, die Regierungspartei von Sparta, droht
ihm mit Krieg. Trotzdem kehrt Pausanias nach Sparta zurück, wo er zum Tode
verurteilt wird. Er sucht im Athene-Tempel Asyl, wo er von den Ephoren
eingemauert wird.
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